Manchmal findet man sich in Situationen wieder, die sind so absurd.
Im „Staff Club“, da wo die Angestellten der University of Canterbury nach Feierabend im gepflegten Ambiente einen heben gehen, ließ ich im kleinen Kreis meiner beiden Kolleginnen mal fallen, dass am folgenden Samstag in Al´s Bar ein Gypsy-Osteuropa-Konzert statt finde. Susanne kriegte zu dem Glanz, den der zweite Weißwein ihren Augen verliehen hatte, gleich noch einen dazu und machte „Oooooch.“ Gudrun machte erstmal gar nichts.
Nachdem Susanne ins Auto heim gestolpert war, kaufte Gudrun mir noch ein Bier und wir verbrachten geschlagene 3 Stunden auf einem der grünen Samtsofas damit über das Leben und die Menschen an sich zu sprechen.
Angetrunken und glücklich voller Philosophie eierte ich danach mit dem German War Tank zickzack die Ilam Road nach Hause.
Am besagten Samstag Abend tranken Kyle und ich uns gerade im Hinterhof von Al´s Bar durchs zweite Bier, als Gudrun mir erst eine sms schrieb und dann leibhaftig auftauchte.
Ihre Anwesenheit allein war nicht allzu bizarr. Jedenfalls nicht bizarrer, als sonst.
Kyle und ich hatten Gudrun und ihren Freund Brent einige Wochen zuvor beim Kickern in der Wunderbar lang gemacht. Gudrun war mit mir zu Kyles Theateraufführung gegangen. Im Foyer des Loons standen wir dann um das gerahmte Portrait des Gründers des "Lyttelton Working Men Club". "Doctor and Humanist" behaupteten goldene Lettern von einem schwarz-weißen gentleman mit Pfeife.
"Geil!" sagte ich. "Sowas will ich auch mal von mir haben! Stell dir vor, von dir hängt son Schrein irgendwo."
Gudrun: "Ja super, ich mit Pfeife."
"Was würde bei dir drüber stehen?"
"Weiß nich. German teacher and nutter (= Verrückter)?"
Gudrun und Kyle lieferten sich also mal wieder ihre mit weitausholender Mimik und Gestik florierten Sprücheduelle, und ich lag vor Lachen halb unterm wackeligen Tisch.
Dann: Auftritt Susanne. Wein in der einen Hand, die andere umklammert die ewige speckige Handtasche.
„Pfui, is das kalt!“ schimpft sie als erstes. Dann macht sie sich die hundertste Zigarette an.
Als ich das nächste Mal zuhöre, versucht Susanne gerade wild gestikulierend Kyle die Komplexität der deutschen Nomenkomposita anhand des Beispiels vom Slalómski/Slálomski zu erklären. Gudrun dazwischen übersetzt von Susannisch ins Englische.
Dann kommt dieser unangenehme Fremde an unseren Tisch, der sich anscheinend so unbedingt mit uns unterhalten will, dass er das angeregte Gespräch über die Komposita ganz einfach ignoriert.
Gudrun hebt eine Augenbraue, Kyle gleich beide. Susanne redet einfach weiter.
„So, wo kommt ihr denn her? Seid ihr Reisende?“
„Jau!“ sagt Kyle. „Wir vier reisen alle zusammen durch Neuseeland.“
„Großartig! Wir findet ihr es?“
„Scheiße.“ sagt Kyle.
„Nah!“ macht der Fremde. „Wo kommt ihr denn nu her?“
„England.“ sagt Kyle.
„Germany.“ Gudrun.
Susanne hat noch nich geschnallt, dass jetzt verarscht wird. Sie guckt irritiert in ihr Weinglas. "Wie jetz Kyle. Ich denk, du bist hier geboren?"
MIttlerweile liege ich nach Luft japsend überm Tisch und trommle mit den Fäusten auf Kyles Oberschenkel ein.
„Is deine Freundin auf Drogen?“ fragt die Nervensäge.
„Jah.“ sagt Kyle. „War wohl n bissel viel. Verdammte party pills.“
Als nächstes kommen Ureinwohner Lytteltons.
Auch einer meiner Lieblingsureinwohner ist dabei: Adam Jones.
Adam kann sich nie an meinen Namen erinnern und bezeichnet mich deshalb immer nur als „beautiful german lady“. Er hat in dem gleichen Theaterstück wie Kyle mitgespielt, und darin eine grandiose Szene, in der er sich ganz alleine mit geschlossenen Augen durch „Try a little tenderness“ tanzt.
Es stellt sich raus, dass Adam vor 10 Jahren mal Deutsch an der UC studiert hat.
Susanne gerät völlig aus dem Häuschen.
„Die Blechtrommel!“ wiederholt Adam zwischen den Episoden der Geschichte „Wie ich mich heute aus Versehen betrunken habe“. „Gunta Krass!“ ruft er zum Schluss und geht rein.
Mittlerweile hat sich Al zu uns hinter seine Bar gesetzt, und füttert Kyle und mich mit seinem Joint ab.
Ich hab Tränen in den Augen vor Lachen und kann schon lange nich mehr sprechen.
Susanne versucht mit Al über Rugby zu reden.
Als ich zwischen zwei Lachflashs am pint nippe, mustere ich die illustre Runde am Tisch und bin mir ziemlich sicher, dass entweder gleich einem der Protagonisten Stoßzähne und Blumensträuße aus dem Ohren wachsen, oder das ich gnädiger Weise einfach aufwache. Passiert nicht.
Später tanzt der ganze Haufen zur Benka Boradovsky Bordello Band vor der Bühne.
Adam hat wieder die Augen zu. Kyle schmeißt mit einem haarigen Hühnen eingehakt die langen Beine nach vorne. Gudrun hoppst von einem Fuß auf den anderen. Bevor ich Susanne sehe, kann ich sie schräg hinter mir tanzen riechen. Der unvermeidliche Geruch, der Leuten anhaftet, die zu viel in schlecht belüfteten Räumen rauchen. Sie hat das Weinglas abgestellt, damit sie beide Hände zum über dem Kopf hin und her wedeln frei hat.
Meine Arbeitskollegen, meine Vorgesetzte, meine Liebe, Kyles Hobby, Kyles Lehrer, unsere Saufkumpanen, Gudruns Vorgesetzte, Gudruns Schüler, Susannes Arbeitskolleginnen, Susannes Schüler; unser aller Alkoholkonsum und Musikliebe haben uns zusammen an einen Kneipentisch gesetzt und dabei „Na ma sehn, ob das gut geht!“ gelacht.
- Ja, ging es!